Geschmack und Zeit. Zur temporalen Ökonomie der Warhnehmung
Mi, 25.9.2019, 14:00–16:00 Uhr – Raum: B3 1, 2.18
Universität des Saarlandes
Niels Werber – Geschmack & Zeit. Urteilsbildung im Kontext automatisierter Beachtungsmessung
„Immer aber“, schreibt Friedrich Schlegel, „hat das Interessante in der Poesie nur eine provisorische Gültigkeit.“ Und interessant, das ist in der modernen Literatur- und Medienlandschaft, zuvorderst das Neue. Seit Schlegel hat die Zahl der Neuerscheinungen und die Frequenz des Neuen beständig zugenommen; doch bescheiden sich die meisten nicht mit einer gleichbleibenden Zahl konsumierter Medien, sondern integrieren mehr und mehr in die gleiche – oder im Verhältnis zu den Neuheiten – nur geringfügig mehr zur Verfügung stehenden Zeit. Dennoch treffen sie dabei jedes Mal aufs Neue ein Geschmacksurteil, und entscheiden, ob ein Gegenstand interessant erscheint, ob er gefällt, süß ist usw., kurz: ob irgendeine Form der Resonanz erzeugt wird oder eben nicht: und folgerichtig wieder zur Seite gelegt oder im Newsfeed weitergescrollt wird. Diese Bildung von Geschmacksurteilen findet im Sekundentakt statt.
Uns interessiert, wie sich das Verhältnis von Zeit und Geschmack, Wahrnehmung und Beurteilung angesichts der zunehmend knapper empfundenen Ressourcen Zeit entwickelt. Die mediale Beschleunigung scheint zwei (mögliche) Konsequenzen im Kampf um Aufmerksamkeit und Resonanz zu zeitigen: Kleine Formen passen sich der Ressourcenknappheit an und verringern ihren zeitlichen Rezeptionsbedarf; zum anderen aber wandelt sich auch das Rezeptionsverhalten, zum binge-watching bei 1,5‑facher Abspielgeschwindigkeit und zum ‚schnellen’ Lesen, einer akzelerierten Wahrnehmung in immer kürzer getakteten Intervallen. Ob dieser Wechsel der Temporalisierungsform als Symptom einer digital entgrenzten Epoche der Popmoderne gelten kann, wollen wir in unserem Panel diskutieren.
Vortragende:
Niels Penke (Siegen): Thematische Einführung
Patrick Hohlweck (Berlin): „Offene Zeit: Baumgartens ästhetische Übung“
Mirta Devidi (Mainz): „‚So tauml’ ich von Begierde zu Genuß, und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde‘. Geschmack und Zeit bei Friedrich Schlegel“
Niels Werber (Siegen): „Geschmack und Zeit“
Ethel Matala de Mazza (Berlin): „Was war der Telegrammstil?“
Florian Lippert (Groningen): „Dokumentar- und Essayfilme zur Flüchtlingskrise im Kontext massenmedialer Komplexitätsreduktion“
Link zum Programmheft auf der Internetseite des Deutschen Germanistikverbandes.